Architektur

Die plastische Gestaltung unseres Schulgebäudes

Schon rein äußerlich unterscheiden sich Waldorfschulen von anderen Schulen. Durch ihre architektonische Formensprache und ihre ungewohnte Farbgestaltung fallen sie auf. Sie fordern die innere Auseinandersetzung mit ihren Formen und Farben geradezu heraus.

Die Skala der Gefühlsäußerungen von Menschen, die unsere Schule besichtigten, erstreckte sich von ausgeprägter Kritik und Ablehnung bis zu begeisterter Zustimmung. Unberührt blieb keiner.

Dass von den Bauformen und der Farbgebung von Gebäuden und Räumen eine starke seelische Wirkung ausgeht, ist heute unbestritten. Meist bleiben die Wirkungen unbewusst und haben gerade deswegen einen so tiefen Einfluss auf unsere Handlungen, Stimmungen und unser Denken. So gehört es zum Wesen der Waldorfpädagogik, dass der Unterricht in einer Umgebung stattfindet, die das Schönheitsempfinden unserer Schüler weckt, ihren Gestaltungswillen anregt und fördert und soziale Konflikte mildert und befriedet.

So war es uns bei der Konzeption unseres neuen Schulgebäudes ein großes Anliegen, die künstlerische Gestaltung des Bauwerkes in den Mittelpunkt unserer gemeinsamen Arbeit zu stellen. Als wir nach der Besichtigung vieler Waldorfschulen und Gesprächen mit deren Architekten in Herrn Wolfgang Ebinger „unseren“ Architekten gefunden hatten, begann die konkrete Planung unseres zukünftigen Neubaus. Die Einfachheit und Klarheit, die maßvolle Zurückhaltung und Wahrhaftigkeit in seinen Bauformen beeindruckten uns. In vielen Gesprächen lernten wir ihn als einen Menschen kennen und schätzen, der zuhören konnte und stets bereit war, sich in das einzufühlen und aufzugreifen, was in uns als Baugedanke zu leben begann. Mitten in der Planungsphase erkrankte Herr Ebinger schwer. Trotz seiner Krankheit arbeitete er weiter am Entwurf unserer Schule und legte den fertigen Vorentwurf noch kurz vor seinem Tode dem Baukreis vor. Dieser Entwurf fand einmütige und begeisterte Zustimmung, gelang es Herrn Ebinger doch, das umfangreiche Raumprogramm auf engstem Raum unterzubringen. Besonders überzeugte uns die Idee, den Festsaal, das Herz der Schule, in das Zentrum des künftigen Neubaus zu legen und die Klassen- und Funktionsräume kranzförmig um ihn herum anzuordnen. Herrn Ebingers früher Tod bewegte uns alle tief, beendete er doch eine harmonische und beglückende Zusammenarbeit, die, kaum begonnen, nun ein jähes Ende gefunden hatte.

Wie sollte es nun weiter gehen? Wir begaben uns erneut auf die Suche nach einem Architekten, der auf der Grundlage des Vorentwurfes von Herrn Ebinger weiterzuarbeiten bereit wäre. Erste Kontakte zu Architekten, die bei Waldorfschulbauten Erfahrungen gesammelt hatten, scheiterten aus mannigfachen Gründen. Da entstand die Idee, Architekten aus unserer Elternschaft damit zu betrauen, das begonnene Projekt aufzugreifen und weiter auszuarbeiten. Für die plastische Gestaltung des Baus aber wollten wir einen Künstler gewinnen; denn wer wäre dazu geeigneter, als ein Künstler, der durch seine schöpferische Arbeit, durch sein fortwährendes Bemühen, der Sprache der Formen zu lauschen, durchlässiger geworden ist für die plastischen Gestaltungskräfte, die – aus den Tiefen seines Wesens stammend – in seinen Werken zu sichtbaren Formen sich verdichten.

Wir setzten uns mit dem Stuttgarter Bildhauer Manfred Welzel in Verbindung und erläuterten ihm unser Vorhaben. Herrn Welzel reizte die ungewohnte Aufgabenstellung und so sagte er uns nach einer gewissen Bedenkzeit zu unserer großen Freude zu. Die intensive Zusammenarbeit mit Herrn Welzel, die nun begann, gehörte zu den schönsten Erfahrungen, die wir in der Bauphase gemacht haben.

So entstanden im Laufe der Jahre die Modelle des Daches, der Eingangshalle mit dem Eingangsportal, der Säulen, des Bühnenportals, der Wände und der Decke des Festsaales und schließlich die Decken der ersten vier Klassen. Die Eingangshalle wird eine große Bronzeplastik von Herrn Welzel schmücken.

Nun, da aus den kleinen Plastilinmodellen sichtbare Bauformen entstanden sind, denken wir dankbar an die Zeit zurück, in der wir mit einem großen Künstler zusammenarbeiten durften. Wir fühlen uns alle durch diese Zusammenarbeit sehr bereichert.

Die plastischen Formen unserer Schule mögen nun für sich selber sprechen. Es muss sich in Zukunft erweisen, wie sie sich auf unsere Kinder auswirken werden, für die sie ja geschaffen wurden.

Indem wir nun das neue Gebäude beziehen und mit Leben erfüllen, gedenken wir der Worte unseres Grundsteinspruches:

Es walte, was Geisteskraft in Liebe,

es wirke, was Geisteslicht in Güte,

aus Herzenssicherheit,

aus Seelenfestigkeit,

dem jungen Menschenwesen

für des Leibes Arbeitskraft,

für der Seele Innigkeit,

für des Geistes Helligkeit

erbringen kann.

Dem sei geweiht diese Stätte:

Jungendsinn finde in ihr

kraftbegabte, lichtergebene

Menschenpflege.

Möge das in uns allen leben und wachsen, was wir als Wunsch und Hoffnung bei der Feier unserer Grundsteinlegung mit diesen Worten zum Ausdruck brachten.

Dr. Rodo Schupp, Gründungslehrer (aus der Festschrift zur Einweihung des Schulgebäudes)

 

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