Epochenunterricht

Der Epochenunterricht umfasst täglich die ersten beiden Stunden. In ihnen behandelt der Klassenlehrer ein Stoffgebiet in Epochen über mehrere Wochen hinweg. Die Schüler können sich auf diese Weise intensiv damit verbinden. Sie haben genügend Zeit, um die verschiedenen Phasen sinnvollen Lernens zu durchlaufen: vom Wahrnehmen bis zum Verstehen, vom Üben bis zum Verarbeiten. Junge Menschen fühlen sich nicht angesprochen von bloßer Wissensvermittlung. Wenn der Unterricht aber so gestaltet ist, dass im rhythmischen Wechsel Spannungen aufgebaut und wieder gelöst werden, wird Schule lebendig. Die Schüler nehmen auf, werden tätig, hören zu, erzählen nach, dürfen ernst und heiter sein. Der Unterricht atmet.

In einer Unterrichtsstunde dieser Art wird ein Waldorflehrer nicht alles bis zu Ende erklären, sondern bewusst wichtige Fragen offen lassen. Bis zum nächsten Tag können die offenen Fragen so weiter wirken, dass sie dann mit tieferer Einsicht von den Schülern neu aufgegriffen werden. Lehrer und Schüler erarbeiten und erleben die Lerninhalte künstlerisch: Bewegung, Farbe, Klang, Ton sowie Melodie, Reim und Rhythmus durchdringen und beleben jedes Thema. So entstehen lebendige Begriffe, die „mitwachsen“, sich mit der Reifung der Kinder verändern und lebenslanges Lernen vorbereiten.

Viele Kinder leiden unter der Reizüberflutung, der sie heute ausgesetzt sind: Vor allem optische und akustische Erfahrungen stürmen ungefiltert auf sie ein und stumpfen ihre feinen Sinne ab. Im Gemüt der Kinder entwickelt sich häufig als Gegenreaktion wachsende Aggressivität.
Deshalb bemühen sich Waldorflehrerinnen und -lehrer, die Schüler Töne, Geräusche, Farben, Düfte und Naturstimmungen in all ihren Feinheiten erleben zu lassen. So können sich die Sinne der Kinder gesund entfalten. Eine wichtige Gesetzmäßigkeit hilft den Pädagogen die Kinder vor einer Überflutung zu schützen:

„Schwache Reize wirken auslösend, mäßige Reize entwickeln, starke Reize hemmen, überstarke Reize zerstören.” (Hugo Kükelhaus)

Waldorflehrer bemühen sich, den Unterrichtsstoff niemals abstrakt oder rein intellektuell zu vermitteln. So sind Buchstaben für sich genommen abstrakte Zeichen, zu denen unsere gesprochene Sprache geronnen ist. Die Fähigkeit, Zeichen von innen her mit Sinn zu beleben, entwickelt sich bei Kindern aber nur langsam. Deshalb erlernen Waldorfschüler in der Regel das Lesen später als Schüler an Regelschulen.

Die notwendige Sicherheit im Schreiben, Lesen und Rechnen gewinnen die Kinder, indem sie diese Grundfertigkeiten nicht nur in den entsprechenden Epochen erlernen, sondern darüber hinaus in fortlaufenden Übstunden festigen.

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