Die visionäre Kraft des Entwurfs der Waldorfpädagogik zeigt sich evident darin, welch ungeheures Gewicht schon bei ihrer Begründung auf die kindliche Bewegungsentwicklung gelegt wurde. Kaum eine Fragestellung der Erziehung erscheint in unseren heutigen Lebensbedingungen und Kulturzusammenhängen aktueller als die nach dem Einfluss, den die kindliche Bewegungsentwicklung auf die kognitiv-denkerischen, emotionalen und gestalterisch-willensmäßigen Fähigkeiten hat.
Wie werden die Sinne, deren Wahrnehmungsfähigkeit und dadurch ein soziales Vermögen ausgebildet?
Der Bedeutung dieser Frage entsprechend wird die Bewegungskunst der Eurythmie an unserer Schule mit zwei Wochenstunden unterrichtet. Das Spiel der kleinen Kinder ist uns ein Lehrmeister für die Freude an der bedeutsamen, schönen Bewegung. Jubel, Trauer, Spannung und Kraft, – alles offenbaren die jüngeren Schulkinder in ihren Bewegungen: Sie schlüpfen in Gestalten, in Tiere, in Wind, Welle, Luft und Licht und sprechen sich darin aus. Die Sprache erfüllt sich in ihren Gebärden. Ein ausgleichender Atem entsteht, wenn das Kind sich in seinen Bewegungen mit den Dingen der Welt verbindet. Über allem stehen die große Lebensfreude und der Tatendrang der Kindheit. Ebenso bedeutsam wie die Sprache bewegt die Musik die kindliche Gestalt mit Rhythmen, Melodien und Harmonien. Spannungen lösen sich in Übergänge auf, Streckung und Exaktheit geben Stärke und Sicherheit, Zusammenklänge vieler Stimmen lassen harmonisches Miteinander erleben.
Der Mensch, das Menschliche steht hierbei immer im Mittelpunkt:
Wie stehe ich da? Wie bewege ich mich? Was drücke ich darin aus? Wie nehme ich den anderen dabei wahr? Was bewege ich – in der Welt? Bis zum Erleben dieser Fragen kann der Unterricht in der Mittel- und Oberstufe gehen. Das ästhetisch-künstlerische Element der Eurythmie kann sich in der Oberstufe realisieren. Klassische und zeitgenössische Werke der Sprache und Musik werden erarbeitet und in Bewegung umgesetzt. Hier schließt die Eurythmie eine Lücke, die in der Pädagogik oft offen bleibt, wenn die bildenden Künste und darstellenden Künste mit Theater, Chor und Orchester unterrichtet werden, aber nicht die Tanzkunst.
Quelle: Bund der Freien Waldorfschulen – www.waldorfschule.de)